Lilia Slawinskaja (Fillo), eine renommierte Künstlerin, Art-Direktorin und Inhaberin der Galerie „Oreades – ОРЕАДА“, hat bereits mehrfach im Deutsch-Russischen Haus in Moskau ausgestellt. Ihre Einzelausstellungen „Drei Pole der Kälte“ (2017) und „Unter 0 °C“ (2023) präsentierten Gemälde, die während Expeditionen in die Arktis, Antarktis und nach Tibet entstanden sind. Ihre Werke sind auch jetzt im DRH Moskau zu sehen: Diesmal, im Rahmen der Gruppenausstellung der Mitglieder der Künstlervereinigung der Russlanddeutschen „Einheit in Vielfalt“, zeigte sie nicht die rauen Weiten der Welt, sondern die malerischen Ufer der Wolga und den Ort, der in den letzten drei Jahrzehnten zu ihrem Zuhause geworden ist– die Stadt Tutajew im Gebiet Jaroslawl. Dort, im Kreativhaus „Romanowo an der Wolga“ – einem alten Kaufmannshaus, das auf Initiative der Künstlerin restauriert wurde –, befinden sich ihr Wohnhaus und ihre Kunstwerkstatt. Wir sprachen mit Lilia Slawinskaja über diesen kraftvollen Ort, die Wendungen des Schicksals, die sie zur Kreativität führten, und die Kontinuität der Generationen in ihrer Familie.

„Antarktis, Indische Bharati-Station“, Öl auf Leinwand, 2017

„Antarktis, Indische Bharati-Station“, Öl auf Leinwand, 2017

- Lilia, viele kennen Sie heute, und Ihre Werke sind in zahlreichen Museen im In- und Ausland vertreten. Ihre künstlerische Entwicklung verlief jedoch etwas ungewöhnlich – sie begann nicht, wie üblich, mit einer Kunstschule in der Kindheit. Erzählen Sie uns, wie Sie zur künstlerischen Arbeit gekommen sind?

Zur Kunst kam ich eher unerwartet. Es waren mehrere Wendungen des Schicksals, die mich dazu führten. In meiner Jugend war ich Sportlerin, Kanufahrerin, nahm an zahlreichen Wettkämpfen teil und wurde sogar Sportmeisterin. Doch eine Schulterverletzung beendete meine sportliche Karriere. Ich beschloss zu studieren. Ich wählte Französisch und Deutsch als Lehramtsstudiengänge und arbeitete nach dem Abschluss eine Zeit lang an einer Schule. Eines Tages lud mich der Künstler Wladislaw Sobinkow aus Kaluga in seine Kunstwerkstatt ein, um ein Porträt von mir zu malen. Als ich ihm bei der Arbeit zusah, wollte ich es unbedingt selbst versuchen. Ich bat ihn um ein paar alte Farben und Pinsel. Auf dem Heimweg kaufte ich mir im Laden einen Rotbarsch und malte sofort ein Stillleben. In der nächsten Woche folgten eine große Öllandschaft und Porträts. Zufällig wurden meine Bilder von Iwan Bruni gesehen, einem Mitglied des Künstlerverbands der UdSSR, der aus Moskau in unsere Stadt gekommen war, um Künstler für die Allunionsausstellung auszuwählen. Ihm gefielen meine Arbeiten, und er bat Wladislaw Sobinkow, mich in sein Atelier aufzunehmen. Ich malte weiter, und als Iwan Bruni meine Arbeiten wiedersah, sagte er: „Lilia, du darfs nichts anderes im Leben machen, anstatt malen.“ Also verließ ich die Schule und schrieb mich mit 27 Jahren, mit zwei Kindern in der Familie, an der Abteilung für Kunst und Grafik des Moskauer Pädagogischen Instituts ein. Ich studierte bei dem hervorragenden Professor Andrej Unkowski. Fünf Jahre lang pendelte ich dreimal wöchentlich mit dem Zug von Kaluga nach Moskau zu Vorlesungen und Seminaren.

Lilia Slawinskaja bei der Arbeit auf dem Forschungsschiff „Akademik Fjodorow“, Antarktis, 2018

Lilia Slawinskaja bei der Arbeit auf dem Forschungsschiff „Akademik Fjodorow“, Antarktis, 2018

- Neben Ihren häufigen Reisen und dem Malen unter teils extremen Bedingungen sind Sie auch Gründerin des Kreativhauses „Romanowo an der Wolga“ in Tutajew. Erzählen Sie uns etwas darüber, wie die Idee entstand und wie lange die Restaurierung des Gebäudes dauerte.

Als ich den Zusammenbruch der UdSSR und die Auflösung des Künstlerverbandes der UdSSR miterlebte, wurde mir klar, dass es bald keinen Ort mehr geben würde, an dem sich Künstler treffen und arbeiten konnten. Im Jahr 2000 erwarb ich mit der tatkräftigen Unterstützung des Künstlers Edward Wyrschikowski ein praktisch verfallenes Gebäude: das ehemalige Haus der Familie Welikorezki – ein altes Kaufmannshaus aus Holz, erbaut in den 1870er Jahren im nordischen Stil. Ich war noch nie zuvor in Tutajew gewesen. Doch durch eine unglaubliche Fügung der Umstände fand ich mich am richtigen Ort wieder. Es war, als hätte mich jemand mitgenommen und hierhergebracht. Es war wie göttliche Vorsehung. Die himmlischen Mächte hatten es befohlen. Nach sechs Jahren aufwendiger Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeiten konnten wir das Kreativhaus wiedereröffnen. So bekam das Haus ein zweites Leben. Die einzigartige Atmosphäre jener Zeit wurde durch antike Möbel geschaffen, die von Anwohnern und Antiquitätenhändlern erworben wurden. Das Haus beherbergt Sammlungen von Gemälden, Skulpturen sowie Kunsthandwerk und angewandter Kunst.

Kreativhaus „Romanowo an der Wolga“

Kreativhaus „Romanowo an der Wolga“

Obwohl das Haus für die Besucher geöffnet ist, dauern die Restaurierungsarbeiten bis heute an. Ich habe die Leitung des Hauses meiner Familie übergeben – meiner Tochter Lilia Slawinskaja und ihrem Mann Alexej Sokolow. Gemeinsam empfangen sie Gäste, sorgen für köstliche Mahlzeiten und führen durch das Haus. Ich widme mich nun verstärkt meiner künstlerischen Arbeit.

Vor zwei Jahren erwarben wir außerdem den ehemaligen Speisesaal und eröffneten, nachdem wir ihn in einen Ausstellungsraum umgewandelt hatten, die Galerie „Oreades – ОРЕАДА“ am Pokrowskij-Platz in Tutajew. Dort finden nun Konzerte und Ausstellungen statt.

Veranstaltung in der Galerie „Oreades – ОРЕАДА“ in Tutajew

Veranstaltung in der Galerie „Oreades – ОРЕАДА“ in Tutajew

- Wer besucht hauptsächlich das Kreativhaus? Für wen wurde all dies geschaffen?

Die ehemalige Stadt Romanow, heute Tutajew, ist eine Perle an der Wolga und seit jeher ein Anziehungspunkt für Künstler. Schönheit und Ruhe prägen diesen Ort das ganze Jahr über. Wir heißen Intellektuelle, Künstler, Studierende, Schüler und alle Liebhaber der Antike herzlich willkommen. Wir haben einen Ort der Inspiration geschaffen, an dem der Geist der Vergangenheit harmonisch mit Gegenwart und Zukunft verschmilzt. Heute ist dieser Ort ein Ort der Kraft. Wir bieten Workshops in Malerei, angewandter Kunst und Kunsthandwerk an und veranstalten Festivals und Konzerte. Im Haus können Gruppen, Familien und Einzelpersonen untergebracht werden.

Sommerpraktikum für Studierende des Colleges für Musik- und Theaterkunst namens G.P. Wischnewskaja

Sommerpraktikum für Studierende des Colleges für Musik- und Theaterkunst namens G.P. Wischnewskaja

- Ihre Kunstwerkstatt befindet sich in diesem Haus, und die Galerie zeigt den Großteil Ihrer Werke. Wie entscheiden Sie, welche Bilder Sie behalten und welche Sie verkaufen oder spenden? Fällt es Ihnen schwer, sich von Ihren Werken zu trennen?

Natürlich fällt es einerseits schwer. Jedes meiner Werke ist mir wie ein Kind. Gleichzeitig freue ich mich aber, sie Museen und anderen Organisationen zu spenden, damit meine Bilder anderen Menschen dienen können. Meine Werke sind in Museen und Privatsammlungen in Russland und im Ausland – in der Schweiz, Italien und Frankreich – zu sehen. Einige wurden direkt auf Ausstellungen verkauft; ein Sammler, der Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, erwarb mehrere meiner Bilder und brachte sie nach Deutschland. Meine Werke werden auch häufig für die Inneneinrichtung von Wohnungen gekauft. Die Gemälde werden von den Menschen erworben, die sie lieben, was bedeutet, dass sie sie brauchen, daher gebe ich sie ohne Zögern weiter.

Ich male nun schon seit 25 Jahren in Tutajew. Es ist mir sehr wichtig, das heutige Bild der Stadt festzuhalten – die Menschen beim Holzhacken, Wassertragen, Schlittenfahren… Mit der Zeit kann all das verschwinden. Diese Bilder verkaufe ich nicht; sie sollen hier in der Stadt bleiben, wie Museumsstücke.

„Wasserbrunnen, Ringe anbringen“, Pastell auf Sandpapier, 31. Oktober 2025

„Wasserbrunnen, Ringe anbringen“, Pastell auf Sandpapier, 31. Oktober 2025

- Ihre Tochter, die ebenfalls Lilia heißt, ist als Art-Direktorin des Kreativhauses „Romanowo an der Wolga“ tätig. Wie haben Sie ihr die Liebe zur Kreativität vermittelt? Oder liegt es in der Familie, ist es eine Art Vererbung? Schließlich liebte auch Ihr Vater das Zeichnen und Fotografieren.

Lilia ist Musikerin. Sie hat ein Cellostudium abgeschlossen und organisiert nun Konzerte in Tutajew. Außerdem studierte sie an der Universität Genf, wo sie einen Abschluss in Philosophie und Kunstwissenschaft erwarb. Sie beobachtete mir beim Malen schon seit ihrer Kindheit, so kam ihre Liebe zur Kunst wohl von selbst. Mein Großvater, Adolf Fillo, war Ingenieur; ich erinnere mich, dass seine Baupläne und Zeichnungen überall im Haus herumlagen. Er gewann sogar eine Goldmedaille in Tiflis für seinen Treppenbau. Auch meine Eltern zeichneten beide sehr gern. Mein Vater, Peter Pikalow, schuf mehrere Alben – Tagebücher mit Zeichnungen, die Ereignisse aus den 1940er- und 1950er-Jahren widerspiegeln. Er war Panzerfahrer und diente während des gesamten Großen Vaterländischen Krieges, zuletzt in der Mandschurei. Danach zeichnete mein Vater Wandzeitungen und schrieb Gedichte. Nun wächst die nächste Generation unserer Familie heran – ich habe fünf Enkelkinder, und ich sehe bei jedem von ihnen kreative Neigungen.

Lilia Slawinskaja, die Tochter von Lilia Slawinskaja (Fillo) und Art-Direktorin des Kreativhauses „Romanowo an der Wolga“, führt ein Rundgang durch das Haus

Lilia Slawinskaja, die Tochter von Lilia Slawinskaja (Fillo) und Art-Direktorin des Kreativhauses „Romanowo an der Wolga“, führt ein Rundgang durch das Haus

- Sie arbeiten eng mit dem Internationalen Verband der deutschen Kultur zusammen. Haben Sie schon einmal über ein gemeinsames Projekt für Künstler in Ihrem Kreativhaus nachgedacht? Zum Beispiel Freilichtmalerei oder Art-Labor für Künstler – Mitglieder der Künstlervereinigung der Russlanddeutschen?

Ich würde mich sehr freuen, Künstler in unserem Haus zu beherbergen. Wir bieten alle Voraussetzungen zum Arbeiten und Entspannen. Hier sind eine wunderschöne Natur, ein schöner Blick auf die alte Kaufmannsstadt, und die Dreifaltigkeitskathedrale aus dem Jahr 1783 ist direkt vom Fenster aus zu sehen.

Innenansicht des Kreativhauses

Innenansicht des Kreativhauses

Wir danken Lilia Slawinskaja für ihre interessante Erzählungen und wünschen ihr viel Inspiration und Erfolg in ihrer künstlerischen und gesellschaftlichen Arbeit.


Lesen Sie auch das Interview mit Lilia Slawinskaja (Fillo): „Reise zu Ende der Welt“.

Sehen Sie sich das Video über das Kreativhaus „Romanowo an der Wolga“ (ab 3:14 Min.) in der Sendung „YaSdes“ auf dem Fernsehsender „YaPerwji“ an.

Die Ausstellung „Einheit in Vielfalt“ mit Werken von Künstlern der Künstlervereinigung der Russischdeutschen ist derzeit im Deutsch-Russischen Haus in Moskau, Malaja-Pirogowskaja-Straße 5, Büro 51, im Saal „Berlin“ zu sehen. Sie ist bis zum 7. Dezember geöffnet.