Wladimir Meisinger ist Verdienter Künstler Russlands, Film- und Theaterschauspieler. Seine Talente wurden mit prestigeträchtigen Preisen gewürdigt, unter anderem dem Theaterpreis „Goldene Maske“ und dem Preis für die beste Darstellung beim Festival „Vivat Kino Russlands!“. Wladimir ist seit mehr als 30 Jahren auf der Bühne und hat einen schwierigen Weg zurückgelegt, den er Anfang der 1990er Jahre am Krasnojarsker Dramatheater begann. Dann kamen die Bühnen von Omsk, Jaroslawl und heute die Truppe des Moskauer Puschkin-Theaters.

Die Bühnenkollegen und berühmten Theaterregisseure arbeiten gerne mit ihm zusammen, darunter die in Russland beliebten und anerkannten Regisseure Jewgeni Grischkowetz und Jewgeni Marcelli. Letzterer beschrieb Meisinger in einem Interview als einen Schauspieler, der „deutsche Sachlichkeit und russische Sentimentalität erfolgreich verbindet“.

Seine Vorfahren sind Wolgadeutsche.

Welche deutschen Züge der Künstler selbst in sich findet, erzählte Wladimir gegenüber unserer Autorin. Das Gespräch verlief recht philosophisch: über die Schauspielerei in Theater und Kino, die Ethik eines Künstlers und die Psychologie, die emotionale Erfahrung jedes Menschen und wie man im Leben real bleibt.

Am 21. September wird Wladimir Meisinger bei der Preisverleihung des Gesamtrussischen Wettbewerbs „Russlands herausragende Deutsche“ mit den Gedichten von Viktor Schnittke auftreten.

Wladimir, heute tragen Sie den Titel des Verdienten Künstlers Russlands, Sie dienen dem Theater seit mehr als 30 Jahren. Ich würde Sie gerne in einer „Zeitmaschine“ in Ihre Kindheit entführen, als alles begann ... In verschiedenen Interviews sagten Sie, dass es der Film „Aeronaut“ war, in dem Ihr Landsmann, der Schauspieler Leonard Warfolomejew aus Tscheljabinsk, die Hauptrolle spielte. Erzählen Sie uns bitte genauer, wann der kleine Wolodja beschloss, Schauspieler zu werden?

Ja, das hängt wirklich mit meinem Landsmann Leonard Iwanowitsch Warfolomejew zusammen. Als ich 12 Jahre alt war, habe ich einen Film mit ihm gesehen. Und das war der Grund, warum ich mich für das Theater interessierte: Zuerst ging ich den Schauspieler live zu erleben und dann besuchte ich verschiedene Aufführungen.

Aber die Idee, selbst Schauspieler zu werden, kam mir später, etwa im Alter von 15 Jahren. In meiner Jugend glaubte ich, dass Schauspieler ungewöhnliche Menschen seien. Und eines Tages las ich eine Ankündigung, dass man für einen Kurs rekrutiert und Bewerber zu Proben kommen können. Und mir wurde klar: „Das sind Jungs und Mädels, genau wie ich! Man kann es verlernen und selbst Schauspieler werden. Das wäre es.“

Und ich lebte mit diesem Gedanken. Auf ein Theaterinstitut ging ich doch erst später, nach dem Wehrdienst.

Wenn ich mit Schauspielern spreche oder ihre Geschichten lese, erinnern sich viele von ihnen an Sketche im Literaturunterricht oder im Schultheaterklub. Hatten Sie auch einmal einen solchen Schritt?

Ja, es war ein Theaterklub in einem Kulturzentrum. Als ich als Kind in Tscheljabinsk lebte, gab es nicht weit von unserem Haus ein Kulturhaus. Wir nannten es den „Grünen Klubs“: Es war im wahrsten Sinne des Wortes grün.

Es wurde schon längst abgerissen. Aber damals lebten wir jungen Leute dort: Es war eine Disco, ein Kino, eine Bibliothek. Und es gab dort einen Theaterklub, ich machte drei Jahre lang dort mit.

Erinnern Sie sich an Ihre allererste Rolle?

Ja, Schneesturm!

Es war eine Art Märchen, und wir spielten zusammen mit einem anderen Jungen Schneesturm, liefen in einem weißen Gewand herum (Wladimir zeigt in diesem Moment einen großen „Schleier“ auf sich selbst und macht wellenartige Bewegungen).

Im nächsten Jahr spielte ich in einem Neujahrsmärchen bereits einen Wolf. Für Amateur-Schulklubs gab es Sondersammlungen, von dort wurden Theaterstücke für das neue Jahr übernommen. So war die erste Probe.

Dies ist das erste Mal, dass ich ausführlich über diesen Theaterklub spreche! Ich habe ihn noch nie in einem Interview erwähnt ...

Anscheinend habe ich damit nicht den Beginn einer beruflichen Laufbahn in Verbindung gebracht. Das sind immer noch verschiedene Dinge.

Aber es ist immer interessant zu erfahren, wo der Fluss seinen Beginn nimmt. Heute spielt der Schauspieler bekannte klassische Figuren auf der Bühne, startete aber im Beruf beispielsweise mit der Rolle eines Käfers oder eines Schneesturms. Der Schneesturm – das ist süß!

Ihr Theaterweg, von der Provinz in die Hauptstadt, ist ziemlich kompliziert. Sie waren fast genau Jahrzehnte lang an verschiedenen Theatern tätig: zunächst am Krasnojarsker Dramatheater, dann an den Bühnen von Omsk, Jaroslawl und seit 2019 in Moskau.

Ich interessiere mich, welche Kraft treibt Sie dazu, sich von einem bequemen Ort zu lösen und immer weiter zu gehen?

Wahrscheinlich der Wunsch, sich beruflich zu bewegen.

Der Grund für Bewegung ist der Wunsch, sich zu bewegen. Was bringt einen Menschen zum Gehen? Ein Ziel. Ich komme raus und gehe in den Laden, um Lebensmittel einzukaufen. Und so dein ganzes Leben lang: Du bewegst dich, um nicht still zu sitzen.

Ich frage mich, wie Ihre berufliche Laufbahn begann. Es war das Krasnojarsker Dramatheater im Jahr 1991, also genau Anfang der 90er Jahre – nicht die einfachste und stabilste Zeit. Es scheint, als wäre es einfacher, dort zu bleiben, um den Lebensunterhalt zu verdienen ...

Bitte erzählen Sie uns, wie es war.

Ja, es war schwierig.

Einerseits ist das die erste ernste Arbeit in einem echten professionellen Theater mit den ersten Rollen. Hat man erst angefangen zu arbeiten, ist die Gier nach dem Beruf natürlich groß und man will spielen!

Aber gleichzeitig denken Sie: Wie kann man unter neuen Bedingungen leben, wenn sich im Land alles verändert hat? Und meine Freunde und ich, ebenfalls angehende Schauspieler, machten auch etwas Anderes neben dem Theater.

Jeder hat es ausprobiert! Ich habe im Radio und im Fernsehen Aufnahmen gemacht. Wir veranstalteten Hochzeiten und Firmenveranstaltungen aller Art, zum Beispiel ein Jubiläum eines Werks. Man machte Auftritte in Kindergärten.

Außerdem verdienten wir nicht um des Reichtums willen, sondern nur um einen Penny zum Überleben.

Ja... „Wer leben will, muss spinnen“. Das war die wörtlichste Verkörperung des Sprichworts.

Jetzt frage ich mich, ob Sie zu Beginn Ihrer Karriere Lampenfieber hatten und ob Sie es heute noch haben?

Früher gab es mehr davon. Der Unterschied besteht darin, dass ich jetzt versuche, die Last der Verantwortung loszuwerden: Man muss spielen, sich den Text genau merken und alles ordentlich machen.

Wissen Sie, am Anfang der Karriere ist man sich seiner selbst noch nicht so bewusst, man kann nicht immer einschätzen, ob es gut oder nicht so gut gelaufen ist. Und mit der Zeit spürt man schon: Gestern war es noch schlimmer, heute ist es wunderbar.

Und als ich Student war, habe ich mir große Sorgen gemacht: „Wie kann ich rauskommen und da ist ein voller Saal?!“

Geht es heute eher um Verantwortung und Reflexion?

Ja, eine Last der Verantwortung. Man hat nicht länger das Recht, es schlechter zu machen, als man es immer getan hat.

Anhand der Materialien, die ich über Sie gesehen und gelesen habe, wurde mir klar, dass Sie mit besonderer Besorgnis und Respekt über die Zeit Ihrer Arbeit am Omsker Theater sprechen. Sie haben sogar den folgenden Satz gesagt: „Wenn etwas aus mir geworden ist, dann dank des Omsker Theaters.“

Welche Bedeutung hat diese Arbeit für Ihre Karriere?

Es stellte sich heraus, dass ich vor fast 15 Jahren von dort weggegangen bin. Und es fällt mir schwer zu beurteilen, wie Theater heute ist.

Aber zu der Zeit, als ich dort von 2000 bis 2010 arbeitete, war es ein Theater mit sehr starken und echten Theatertraditionen. Es gab nichts Überflüssiges, was gutes Theater störte. Und es wurde alles dafür getan, dass eine normale Atmosphäre und Theaterwelt entstand.

Das war eine sehr starke Truppe. Es waren die Leute, von denen man lernen konnte. Obwohl ich als gemachter Schauspieler dort angekommen bin. Aber ich hatte Leute, denen ich zuhören konnte. Ältere Kollegen vermittelten wichtige Gedanken. Zu dieser Zeit arbeiteten sehr interessante Regisseure am Omsker Theater. Und indem ich mit ihnen zusammenarbeitete, erhielt ich eine Art zusätzliche Ausbildung.

So war es eine fruchtbare Umgebung für Ihr Wachstum?

Ja, ja, und so für viele. Ich kenne Schauspieler, für die dies ein kraftvolles Sprungbrett war, und jeder erinnert sich an das Omsker Theater als etwas Bedeutendes.

Ich habe in einer Zeitschrift einen Witz über Theaterkritiker gelesen. Sie reisen durch ganz Russland, schauen sich Aufführungen an und schreiben dann darüber. Und jetzt diskutieren zwei Kritiker darüber, woher was gebracht werden soll.

Angenommen, wenn Sie in den Fernen Osten reisen, müssen Sie roten Kaviar mitbringen, aus Tula Lebkuchen und Fruchtleder, in Astrachan müssen Sie schwarzen Kaviar auf dem Markt kaufen.

Was sollte man doch aus Omsk mitbringen? Und Theaterkritiker sagen: „Man muss nichts aus Omsk mitbringen, man muss dorthin kommen und ins Theater gehen.“

Sie haben gerade einen interessanten Ausdruck erwähnt: „die echten Theatertraditionen.“ Bitte erklären Sie das.

Das Wichtigste im Theater ist, dass die Aufführung am Abend stattfindet und gut läuft. Und wenn es jedem klar ist, dann ist es echt.

Und manchmal ist es einem Menschen egal, wie die Aufführung läuft, solange es ihm selbst gut gehe. Oder es spiele keine Rolle, wie das Theater bewertet werde, solange das Publikum ihn persönlich liebe. Und wenn es mehrere solcher Menschen gibt, dann beginnt alles zusammenzubrechen.

Mir ist eine Analogie zum Sport eingefallen, dass es sich um den Teamgeist handelt.

Theater ist eine Ensemblekunst. Ein Künstler oder ein Schriftsteller darf alleine zu Hause sitzen. Und auf der Theaterbühne ist es ja eine Teamsache, da muss man präsent sein, mitfühlen können. In Theaterkursen wird überall das Gleiche gelehrt. Stanislawskij verfasste ein ganzes Kapitel „Ethik“, und jeder hat es gleich gelesen. Aber irgendwo funktionieren diese Traditionen und irgendwo nicht.

Als Fortsetzung des Themas Ethik und dieser Aussage „Solange es dem Menschen selbst gut gehe.“ Wie kann man als Künstler, der Anerkennung und Auszeichnungen erhält, dem Sternenfieber vorbeugen?

Nun, man muss sich selbst lieben, das gehört auch zum Beruf. Aber es ist wichtig, immer im Kopf zu behalten: Hauptsache, die Aufführung am Abend läuft gut. Das sollte jeder behalten: Schauspieler, Kostümbildner, Lichtdesigner, Redakteure – alle!

Und wenn jeder daran denkt, dass das Publikum kommt und das mitkriegt, was der Aufführung innewohnt, dann arbeiten alle einfach daran.

Wenn Sie an die Arbeit denken, kann Ihnen kein Fieber was tun.

Ich möchte Sie auch nach dem Leben eines Schauspielers fragen, bezüglich der Grenze zwischen Rolle und Realität. Gibt es Helden, die in irgendeiner Weise mit Ihren Werten und Ihrem Charakter identisch sind?

Es passiert oft, dass man darstellt und denkt: „Wow, ich befinde mich gerade in einer ähnlichen Situation!“ Und plötzlich entdecken Sie Parallelen zu dem, was in Ihrem Leben passiert und vorgekommen ist.

Können Sie sich an ein konkretes Beispiel erinnern?

Oh-ho-ho-ho! Ein Beispiel fällt mir jetzt ein, aber ich möchte mich nicht daran erinnern. Glauben Sie mir, das passiert oft.

Aber es ist nicht ganz eins zu eins. Zum Beispiel wurden Ihrem Charakter die Augen für etwas geöffnet. Und Sie merken, dass Sie selbst vor ein oder zwei Monaten eine Situation hatten, in der Ihnen auch die Augen für etwas geöffnet wurden, und Sie erleben es genauso.

Teilen Sie ein wenig Ihre innere Küche: Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor? Wie gehen Sie solche an?

Ich stehe dafür, dass jeder das alles in sich hat. Nur in unterschiedlichen Anteilen. Jeder von uns hat ein Genie, einen schrecklichen Bösewicht im Inneren. Eine andere Sache ist, was Sie für die Rolle kultivieren werden.

Stanislawskij hat eine gute Antwort darauf gegeben. Aus den 1930er Jahren ist die einzige Videoaufnahme erhalten, auf der Konstantin Sergejewitsch zu sehen und zu hören ist. Dies ist ein kleiner Ausschnitt aus der „Tartuffe“-Probe.

Stanislawskij spricht mit der Schauspielerin und erklärt, dass sie lügen muss. Und er sagt: „Nun, Sie müssen doch so eine Erfahrung gehabt haben, dass Sie lügen können.“ Sie antwortet: „Als Mensch kann ich das, aber ich habe es nicht in mir selbst kultiviert.“ – „Für diese Rolle darf man diese Eigenschaft kultivieren.“

Wir haben alles und können eine gewisse Eigenschaft für die Rolle entwickeln und den Charakter verstehen. Und das hilft auch auf menschliche Weise: Wir denken über sich selbst oft ... zu gut, aber wenn man anfängt, darüber nachzudenken, erkennt man, dass wir alle Menschen sind. Und um einige Dinge zu entwickeln, muss man sich nicht unbedingt etwas Anderes oder jemand Anderen ansehen.

Manchmal erinnere ich mich natürlich an ähnliche Menschen, wenn es mir so vorkommt, als ob mein Charakter jemandem ähnlich ist. Man erinnert sich dann daran, wie er spricht und aussieht. Zum Beispiel ist eine Person ständig düster.

Aber zunächst denken Sie: Warum macht er das? Sie kopieren es nicht einfach – Sie müssen die Natur des Geschehens verstehen. Aber das ist bereits Schauspielunterricht.

Wissen Sie, das ist in modernen Begriffen ein gutes Training. Wenn mir zum Beispiel der Mut fehlt, mich auszudrücken, dann kann ich durch eine Rolle diesen gesunden Mut in mir kultivieren.

Ja, und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass viele psychologische Trainings den Schauspielübungen ähneln. Obwohl man keine Psychologie an Theateruniversitäten unterrichtet.

Merkwürdig, ich glaube.

Nämlich, weil die Psychologie hier sozusagen ein überflüssiges Fach ist: Sie ergänzt oder stört. Es gibt ein Thema wie „Schauspielerische Fähigkeiten“, und das ist alles dasselbe. Welchen Sinn hat Bewegung? Neben der Entwicklung schauspielerischer Eigenschaften sind dies auch Motivationsübungen.

Einer der wichtigsten Punkte bei Schauspielskizzen ist, immer zu verstehen, was ich will und was ich tue. Und tatsächlich besprechen sie dasselbe mit einem Psychologen. Das ganze Leben eines Menschen dreht sich darum: Was er will und warum er es tut.

Der Unterschied liegt wohl darin, dass psychologische Tests und Trainings die menschliche Psyche normalisieren und in Ordnung bringen. Und Schauspieler spielen in der Regel Menschen unter extremen Umständen. Der eine erwürgt seine Geliebte, der Andere macht mit ihr noch was.

Wir spielen Menschen in ungewöhnlichen Situationen. Und wenn wir darstellen, wie gut alles gehe, wen interessiert das? Daher muss es entweder Shakespeare-Leidenschaften oder Tschechowsche Tiefen geben.

Ja, sonst kommt es nicht zur Katharsis.

Eine der Schlussfolgerungen, die ich aus diesem Gesprächsausschnitt für mich selbst gezogen habe, ist, dass der Schauspielberuf dem Leben im Allgemeinen mehr Plastizität und Flexibilität verleiht. Er hilft, Menschen zu verstehen, effektiver zu kommunizieren und sich auszudrücken. Ein sehr nützlicher Beruf fürs Leben!

In gewisser Weise ja, aber nicht immer. Noch schwieriger ist es, auf der Bühne zu stehen und diese Erfahrung dann im Leben anzuwenden. Sie können auf der Bühne entscheidungsfreudig sein, verstehen aber, dass dies für Sie persönlich keine Konsequenzen hat. Du weißt, wie es enden wird: eine Verbeugung und das war’s. Und im Leben wirst du noch zehnmal darüber nachdenken, ob du das tust oder nicht. Weil Sie nicht wissen, was als nächstes passieren wird.

Ja, es gibt eine Fortsetzung im Leben nach dem Vorhang...

Wladimir, Sie spielen auch in Filmen. Was ist Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen der Schauspielerei auf der Leinwand und der auf der Bühne? Was interessiert Sie an der Mitarbeit bei Filmprojekten?

Erstens habe ich sozusagen die Nische besetzt, an die sich nicht alle erinnern. Unser Beruf heißt laut Diplom „Theater- und Filmschauspieler“. Aber für viele gibt es nicht diese „und Film“. Ich habe es jetzt ausgefüllt. Warum ist es interessant? Dies ist eine weitere Besonderheit.

Ich persönlich kam zu dem Schluss, dass Theater immer noch eine Sache des Schauspielers und Kino eine Sache des Regisseurs ist. Und das ist der Unterschied.

Im Theater inszeniert der Regisseur ein Stück, bringt es auf die Bühne und das Stück lebt weiter. Der Regisseur wird sich nicht mehr einmischen und irgendetwas tun. Die Aufführung gehört uns, den Schauspielern. Bei der Probe kann man dann etwas ändern, aber abends sind das wir, die rausgehen und spielen.

Im Film ist es genau das Gegenteil. Wir filmen. Und wenn alles verfilmt ist, fällt das Material in die Hände des Regisseurs. Und das ist es, was er tut, das ist die Art von Film, die es sein wird.

Und das Interessanteste für mich ist, dass man, wenn man filmt und nicht weiß, wie es von außen aussieht, nicht einmal darauf achtet, auf welchen Winkel die Kamera zeigt. Und dann kommt der Film heraus und ich bin gespannt, was passiert.

Auch im Theater gibt es viele, viele Konventionen auf der Bühne. Und im Kino: Wenn du auf der Straße bist, dann filmst du auf der Straße. Oder man hat dich mit Wasser übergossen und genauso dich gefilmt.

Ja, das stimmt.

Und sagen Sie vom Höhepunkt Ihrer Theatererfahrung: Was denken Sie über Theater im 21. Jahrhundert als Kunst, worum geht es?

Als das Kino erschien, sagte man, dass das Theater verschwinden würde. Als das Internet erschien, sollte alles völlig verschwinden. Aber trotzdem bleibt alles so. Was ist modernes Theater und warum wird es benötigt?

Als jeder schon eine Videokamera hatte, noch bevor es Kamerahandys gab, dachte ich auch, dass das Kino wahrscheinlich verschwinden würde. Schließlich kann es jetzt jeder ausziehen.

Und dann denke ich: „Warum sollte es?“ Buntstifte und Füllfederhalter gab es schon immer, aber nicht jeder wurde zu einem großen Künstler und Schriftsteller. Man hat die Gelegenheit: Hinsetzen und schreiben. Aber das wird dich nicht zu Puschkin machen. Wenn Sie Farben und Pinsel haben, bedeutet das nicht, dass Sie Wasnezow sind.

Was ist das Theater des 21. Jahrhunderts? Ich glaube, es ist dasselbe wie immer. Der einzige Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um im Saal zu sitzen und Geschichten wie Live-Aufnahmen anzusehen.

Das Theater ist ein Ort der Live-Kommunikation, das war es und ist es auch. Aber natürlich hält der Fortschritt überall Einzug, auch im Theater. Früher gab es keinen Strom und es brannten Kerzen. Und unten im Orchestergraben saß ein echtes Orchester. Jetzt steuern unsere Tontechniker den Ton vom Computer aus und die Bildschirme auf der Bühne sind bereits eingeschaltet.

Es gibt Aufführungen fast ohne Kulisse, denn mit großartigem Licht kann man sie schon machen. Und ich habe bei solchen Auftritten mitgespielt. Das ist alles großartig, lass es funktionieren.

Ich möchte auch eine philosophische Frage zur Aufrichtigkeit stellen und dabei auf Shakespeare zurückkommen: „Die ganze Welt ist eine Bühne ...“.

Als Folkloristin trete ich theatralisch mit Märchen auf. Und eines Tages wurde ich gefragt: „Wie aufrichtig bist du im Leben, wie ehrlich bist du mit all deinem Lächeln und deinen Reaktionen?“ Schließlich kannst du spielen.“

Was ist Aufrichtigkeit auf der Bühne und im Leben? Wer ist ein aufrichtiger Mensch?

Ein aufrichtiger Mensch ist offen und denkt nicht aus, wie er aussehen und was er sagen soll. Er ist, wer er ist – natürlich und echt.

Und auf der Bühne, würde ich sagen, braucht man Natürlichkeit. Aber das ist im alltäglichen Sinne nicht natürlich: Alles ist wie im Leben. Man kann Grimassen schneiden, seltsam sein, aber es sollte in der organischen Natur dieser Aufführung liegen, im Einklang mit dem Genre.

Meiner Erfahrung nach ist das Theaterumfeld sehr abergläubisch.

Glauben Sie an Omen? Und können Sie irgendwelche theatralischen Aberglauben aus Ihrem Leben teilen?

Wenn ich das Skript zufällig fallenlasse, setze ich mich darauf (ein gängiger Aberglaube, nach dem man sich auf den gefallenen Text eines Theaterstücks setzen muss, um ein Scheitern zu vermeiden – Anm. d. Red.).

Vor jeder Aufführung versammeln wir uns, wie es so schön heißt, „Hand in Hand“: „Eins, zwei, drei mit Gott!“ (Wladimir zeigt, wie übereinander gelegte Hände hochgeworfen werden).

Und es scheint, man könnte darauf verzichten, aber man muss es tun, denn dann werden alle ruhiger.

Es heißt, wenn sich ein Knopf an Ihrem Anzug löst, soll der Kostümbildner zu ihnen rennen, und Sie müssen den Anzug ausziehen und ihm geben, und er näht den Knopf an. Aber wenn er ihn an Ihnen annähen müsste, dann sollten Sie schweigen und einen Faden im Mund behalten.

Das ist faszinierende lokale Folklore!

Ja, ja, alle Schauspieler sind abergläubisch.

Ich möchte auch das Thema der deutschen Wurzeln in Ihrer Familie ansprechen. In verschiedenen Interviews sprechen Sie sehr respektvoll und freundlich darüber, dass Ihre Vorfahren Wolgadeutsche sind. Mir gefiel die Beschreibung, die Ihnen Regisseur Jewgeni Marcelli einmal gegeben hat: Sie vereinen deutsche Sachlichkeit und russische Sentimentalität. Wie empfinden Sie diese Kombination?

Ich habe eine sehr gute Einstellung zur Ordnung, wahrscheinlich ist das eine deutsche Eigenschaft.

Einerseits ist Blut kein Wasser, wie man sagt. Auf der anderen Seite gibt es die Umgebung, in der Sie leben. Und ich bin ein in der Sowjetunion geborener Mensch und lebe mein ganzes Leben in Russland.

Ich erinnere mich auch an diese Aussage von Marcelli, er sagte: „Er vereint erfolgreich ...“ (mit Schwerpunkt auf das Wort „erfolgreich“ – Anm. d. Red.). Das heißt, dies ist eine gute Kombination, sonst gäbe es eine Tendenz in die eine oder andere Richtung.

Erzählen Sie uns bitte von den deutschen Wurzeln in Ihrer Familie.

Meine Vorfahren sind Wolgadeutsche, also Nachkommen von Siedlern, die zur Zeit Katharinas II. hierher kamen. Die Eltern wurden an der Wolga geboren, als es noch die Republik der Wolgadeutschen war. Wie andere wurden sie während der Kriegsjahre nach Kasachstan deportiert. Dort lernten sie einander kennen und später wanderten von dort aus.

Erinnern Sie sich an Traditionen der Russlanddeutschen in Ihrer Familie aus der Kindheit? Was Leckeres haben Ihre Mutter und Ihre Großmutter gekocht?

Ja, ja, es gab kulinarische Traditionen. Mama und Oma haben natürlich was Feierliches für das Neujahrsfest gekocht.

Das war Rivelkuchen, eine Torte mit Streuseln. Hühnerbrühesuppe, allerdings nicht mit Nudeln, sondern mit Grießknödeln. Oder alle sagten „Kartoffelpüree“, aber in unserer Familie hieß es „Kartoffelbrei“ (Wladimir verwendet das deutsche Wort – Anm. d. Üb.). Natürlich gab es gedünsteten Kohl mit Fleisch und Teig.

Haben Sie etwas vom Deutschen in Ihr Erwachsenenleben mitgebracht?

Da ich selten koche, muss ich diese Rezepte im Internet nachschlagen.

In Ihrer Familie gab es auch Menschen aus kreativen Berufen, Ihr Großvater war beispielsweise Musiker und Absolvent des Konservatoriums. Gab es also auf die eine oder andere Weise eine Spur von Kreativität in der Familie?

Ja, es gab Bücher, meine Mutter und meine Großmutter haben über Literatur gesprochen. Daher lernte ich was Neues nicht nur in der Schule, sondern auch in der Familie. Und meine Berufswahl fiel nicht vom Himmel.

Ja, das familiäre Umfeld, in dem ein bestimmter Künstler in verschiedenen Bereichen der Kunst aufwächst, ist immer interessant. Und Kunst liegt auch in Ihrer Familie?

Ja, meine älteste Tochter ist Schauspielerin, sie spielt im Theater. Auch die jüngste Tochter hat eine kreative Laufbahn gewählt: Sie studiert Computergrafik und Animation. Alles geht irgendwie in diese Richtung. Manchmal gehen meine jüngste Tochter und ich ins Theater, ich nehme sie mit zu Premieren. Oder ich konnte nicht zur Premiere der Serie gehen, ging sie.

Gemäß meiner journalistischen Tradition beende ich das Gespräch gerne mit herzlichen Wünschen meiner Gesprächspartner. Wladimir, was könnten Sie unseren Lesern aus der aktuellen Stimmung heraus wünschen?

Ich wünsche Ihnen weitere freudige Tage, Güte und Ruhe, damit Ihnen nichts mehr Sorgen bereitet. Und damit es drinnen und draußen gemütlich ist.

Güte, Freude und Gemütlichkeit. Mir scheint, dass dies mit Beginn des Herbstes und der Kälte umso notwendiger ist.